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Historie der deutschen Freimaurerei und ihrer Rituale

von Br. Erwin Bohnacker
Brüderlicher Vortrag vom 15. März 2011

1. Freimaurerische Wurzeln und Systeme

Nicht nur für einen Vergleich unserer Rituale, sondern insbesondere für das richtige Verstehen des eigenen Rituals, bin ich der Überzeugung, dass das Wissen um dessen Ursprung und seine historische Entwicklung unbedingt erforderlich ist. Deshalb dieser Kurzvortrag, der natürlich ebenso zum besseren Verständnis der anderen freimaurerischen Rituale hilfreich ist.

Nie habe ich anderes gehört, als dass man bei freimaurerischer Historie vom Anfang der Freimaurerei im Jahre 1717 in London sprach und dies für die weiteren geschichtlichen Ausführungen als den Ursprung der Freimaurerei dargestellt hat. Das ist aber nur die halbe Wahrheit, denn es gibt a) eine wesentlich ältere Freimaurerei in Schottland und b) zwei sich grundsätzlich unterscheidende Systeme, das Schottische und das Englische, und beides war besonders für unsere deutsche Freimaurerei prägend.

Eine gänzlich andere Freimaurerei als die in England zur ersten Großloge führende war bereits lange vorher in Schottland entstanden. Zwar ist vieles im historischen Dunkel, aber die Geschichte einzelner schottischer Logen geht sehr weit zurück (z.B. Kilwinning und Mary’s Chapel), wie auch die erbliche Großmeisterschaft der Grafen von Rosslyn. Durch ihre Wurzeln vorgegeben (Tempelritter?), ist diese Freimaurerei natürlich sehr christlich ausgerichtet, wie auch der Einfluss der spekulativen Maurer – Adel und Geistlichkeit – ein anderer ist, als bei der ersten englischen Großloge, die viele Doppelmitglieder in der Royal Society hatte.

1.1 Englisches System (Werksmaurerei)

Dass die Freimaurerei aus Bauhütten sakraler Bauwerke durch den allmählichen Übergang von tatsächlichen Bauleuten zu „spekulativen“ Maurern hervorging, ist bekannt und historisch belegt. Aber gerade in dieser Entwicklung liegt bereits ein gravierender Unterschied im Englischen System, weil es zwei ganz unterschiedliche Logen-Gruppierungen gab:

Neuenglisch („Moderns“)
Bei den vier Londoner Logen, die sich 1717 zu einer Großloge zusammenschlossen, war es ganz eindeutig (und für unser weiteres Verständnis wichtig), dass die Mitglieder aus aufklärerischen Geistesgruppen kamen. Nach neuerer freimaurerischer Forschung hatten sie sich aussterbende Bauhütten zur Mitgliedschaft ausgesucht – und nicht umgekehrt. 1723 wird ihre bekannte Constitution von Reverend Anderson mit den berühmten „Alten Pflichten“ veröffentlicht, und 1730 erscheint – glücklicherweise – die Verräterschrift der Rituale von Pritchard, „Masonry dissected“ – sonst hätten wir heute keine Informationen über die damaligen Rituale.

Diese Richtung der Freimaurerei zeichnet sich durch einen ganz ausgeprägten Einfluss aufklärerischer (deistischer) Gedanken aus.

Altenglisch („Ancients“)
Gänzlich anderer Ausrichtung sind Logen irisch/schottischen Ursprungs, die es zur gleichen Zeit in London gab. Diese Gruppierung von Logen warf nämlich der ersten Großloge vor, sie sei vom Althergebrachten abgewichen, und sie selbst seien die traditionelleren und auch die älteren. Sie nannten sich deshalb auch so: „Ancients“ – die Alten. 1751 schließen auch sie sich zu einer Großloge zusammen. D.h., mindestens von da an haben wir bis zum Zusammenschluss dieser beiden Großlogen zwei recht unterschiedliche Systeme in einem langen, insbesondere für die weltweite Entwicklung der Freimaurerei wichtigem Zeitraum, da von beiden Auslands-Distriktslogen gegründet werden.

Vereinigte Großloge von England (UGLoE)
Erst 1813 führen zwei herzogliche Cousins diese beiden Großlogen zur United Grand Lodge of England zusammen. Die Hauptunterschiede in den Neu- und Altenglischen Ritualen waren: der Sitz des 2. Aufs. (Westen <-> Süden), die Worte des 1. und 2. Grades sind vertauscht (damit auch die Bezeichnung der Tempelsäulen), wie auch die Altarposition für den damaligen alten Eid (Osten <-> Westen). Vor allem aber war das neuenglische Ritual deistisch und das altenglische christlich geprägt. Im Einigungsritual wurden dann die christlichen Bezüge großteils heraus genommen, während es im Ablauf fast ausschließlich beim Ritual der „Ancient“ blieb.

1.2 Schottisches System (Hochgradmaurerei)

Ohne direkten Bezug zu Schottland entstand in Frankreich (Paris) um 1740 die sog. „Schottische Maurerei“ (franz. Ecossisme), eine Sammelbezeichnung für Freimaurerei mit durchgängig weiterführenden Graden eines Lehrgebäudes über die ersten drei Grade hinaus. Über die rasante Entstehung der Hochgradmaurerei gibt es trotz eingehender Forschung nur Hypothesen. Sicher ist, dass A.M. Ramsay mit seiner Rede nur anregend wirkte und schottische Exilanten (Jakobiter) und/oder exilierte Anhänger der Stuarts eine Rolle in der Gründung der plötzlich massenhaft aufgetretenen Hochgrad-Logen, -Riten, -Orden, -Kapiteln, -Mutterlogen gespielt haben könnten, wie wohl auch der Kampf der Konfessionen seinen Einfluss hatte.

Hochgradsysteme, die sehr christlich und ritterlich waren, (vor allem mit der Berufung auf das Erbe der Templer, deren Geschichte und Legenden ja hinreichend bekannt sind), gewannen bald große Bedeutung (Schwedisches System, Strikte Observanz).

Wichtig für unser Verständnis der Freimaurerei und ihrer Rituale ist, dass die Freimaurerei nicht nur in England ihren Ursprung hatte, denn die damalige „Schottische“ Hochgradmaurerei hat sich genauso schnell über die Welt verbreitet wie die Neu- und Altenglische. Die Großlogen der romanischen und der süd- und mittelamerikanischen Länder sowie die Großloge von Frankreich sind schottischen Ursprungs in reiner Form, und in abgewandelter Form sind es die Großlogen der Benelux- sowie der nordischen Länder und der Grand Orient Frankreichs.

2. Deutsche freimaurerische Systeme und Rituale

1737 beginnt in Hamburg die sich schnell verbreitende Freimaurerei in Deutschland. Mitte des 18. Jh. gab es Provincial-Großlogen der Neuenglischen Freimaurerei in Hamburg und Frankfurt, sowie selbst ernannte Großlogen in Berlin (des jungen „Alten Fritz“), Bayreuth (Schwager vom „Alten Fritz“) sowie Dresden, und die meisten bereits mit Tochterlogen.

Zur gleichen Zeit hatte sich aber auch die Schottische Hochgradmaurerei nach Deutschland und Europa ausgebreitet. Zur Wahl und in Konkurrenz standen nun zwei freimaurerische Systeme:

  1. a) Symbolische Werksmaurerei in 3 Graden – humanitär/egalisierend
    b) Hochgradmaurerei in X Graden, esoterisch, wahre Geheimnisse, Exklusivität und in Auswüchsen auch finanzielle Gewinne versprechend.

Wo sie in der deutschen Kleinstaaterei erlaubt war, blühte die Freimaurerei, und dem Zeitgeist entsprechend entschied man sich mehr und mehr für die Hochgradmaurerei.

So hatte von Mitte des 18. Jh. an ein Hochgrad-System – die Strikte Observanz – viele existierende Großlogen und Logen für sich gewonnen und insbesondere nach der Vereinigung mit dem Klerikalen System (1772) begonnen, die deutsche Freimaurerei zu dominieren. Der Tempelherrenorden sollte wieder aufleben, mit strengem Gehorsam gegen unbekannte Obere.

Ein etwas anderes französisches Hochgrad-System – basierend auf der Templerlegende, absolut christlich, streng hierarchisch und sehr exklusiv – existierte seit 1736 in Schweden (und später in ganz Skandinavien). Dessen (Eckleffsche-)Rituale hatte sich J.W.K. v.Zinnendorf besorgt, von 1768 an einige Logen gestiftet und in Folge die Große Landesloge der Freimaurer von Deutschland in Berlin gegründet.

Die deutsche Freimaurerei wurde chaotisch. Scharlatane, Idealisten, Machtsüchtige und Betrüger betätigten sich (pseudo-)freimaurerisch, und bald machte sich Enttäuschung aus unerfüllten Erwartungen, Machtkämpfen und Intrigen breit. 1782 sollte der Wilhelmsbader Konvent die vielfältigen Probleme lösen. Das gelang nicht, man kam aber zum Schluss, dass die Legende der freimaurerischen Abstammung von den Tempelrittern historisch nicht haltbar sei. Das System der Strikten Observanz wurde zum sogenannten Rektifizierten System reformiert. Damit war das Schicksal der Strikten Observanz zwar besiegelt, aber große Teile der deutschen Freimaurerei waren auch orientierungslos und gelähmt.

Große National-Mutterloge „Zu den drei Weltkugeln“ (3WK)
hatte das Rektifizierte System in etwas veränderter Form übernommen, löste sich kurz nach dem Konvent von der Strikten Observanz und erklärte sich wieder für selbständig. 1797 gab sie sich eine neue Grundverfassung, die Logen bekamen mehr Selbständigkeit (das Direktionsrecht wurde den höheren Graden, welche Erkenntnisstufen wurden, entzogen) und sie nahm den heutigen Namen Große National-Mutterloge „Zu den drei Weltkugeln“ an.

Eine stetige Entwicklung und besonders die Protektion der Preußischen Könige und Kaiser (Edikt von 1798) machte sie zur größten Großloge vor der Zeit der Dunkelheit.

Große Landesloge der Freimaurer von Deutschland (GLL)
war vom Untergang der Strikten Observanz kaum berührt, außer dass v.Nettelblatt die Rituale revidierte. Das Ordens-System an sich: absolut christlich mit strenger hierarchischer Ausrichtung und die Betrachtung der Johannisgrade als Vorstufe zu den Hochgraden hat bis heute unverändert Bestand.

Eine stetige Entwicklung, wie auch die Protektion des Preußischen Herrscherhauses, machte sie zur zweitgrößten Großloge vor der Schließung durch die Nazis.

Eklektische Freimaurerbund in Frankfurt am Main
leitete nach dem Wilhelmsbader Konvent die freimaurerische Reformation ein, die der Hochgrad- müden Freimaurerei neue Orientierung gab. Auf Betreiben v.Ditfurths (Wetzlar) und Brönners (Frankfurt) konnte 1783 durch Rückbesinnung auf die Basiswerte der Freimaurerei der Eklektische Bund gegründet werden. Rituale und Gesetze basierten auf dem neuenglischen Ritus der Loge zur Einigkeit, Frankfurt.

In der 1. Hälfte des 19. Jh. hat der Eklektische Bund durch die Auseinandersetzungen um das „Christliche Prinzip“ (Anerkennung der jüdischen Brr.) die deutsche „humanitäre“ Freimaurerei maßgeblich geprägt.

Große Loge von Preußen (Royal York zur Freundschaft)
Durch den Beitritt Ignaz Feßlers 1796 in die Hochgrad-Loge Royal York war dieser nicht nur ihr Gründer als einer neuen Großloge (drittes christliches Hochgradsystem in Berlin), sondern die deutsche Freimaurerei hatte auch einen ihrer großen Reformatoren bekommen. Er schuf zuerst in Anlehnung an das altenglische System und in enger Zusammenarbeit mit F.L. Schröder die Rituale der Johannisgrade neu, wandelte dann widerstrebend die französischen Hochgrade in mehrere Erkenntnisstufen um, teilte danach die Loge mehrfach, um Großlogen-Status zu erreichen und erwirkte zudem noch das Protektorat des Königs.

Die Feßlerschen Johannisgrade wurden zur Basis anderer Rituale, zuvorderst derer der Großloge „Zur Sonne“ in Bayreuth.

Großloge von Hamburg
Der große freim. Reformator Friedrich Ludwig Schröder trat erfolgreich für die Vereinfachung und Entmystifizierung der Freimaurerei ein und reformierte, indem er alle Hochgrade eliminierte, System und Rituale nach dem altenglischen Ritus. 1801 war die „Schrödersche Lehrart“ von seiner Großloge angenommen worden, und 1816 bereits von 33 Logen unter drei weiteren Großlogen. Schröder war aber nicht nur Reformator (System und Engbund), sondern auch ein Vereiniger der Freimaurerei (Großlogenverein).

Durch seine große Akzeptanz prägte das Schrödersche System die humanitäre Freimaurerei maßgeblich.

Großloge „Zur Sonne“ in Bayreuth
Der wechselhaften Geschichte der 1741 gegründeten Bayreuther Loge durch Systemänderungen (Strikte Observanz, Royal York) und Staatszugehörigkeiten (Markgrafschaft, Preußen, Bayern) folgte eine Glanzzeit unter der Großmeisterschaft J.K. Bluntschlis (1872-78). Er gab seiner Großloge eine neue Verfassung und überarbeitete für sie die Feßlerschen Johannis-Rituale.

Symbolische Großloge v.D.
war der Zusammenschluss von Logen, die Leo Müffelmann in Vertretung des A.A.S.R. v.D. und mit 600 ehemaligen Mitgliedern des „Freimaurerbund zur aufgehenden Sonne“ (FzaS) gegründet hatte. Von den anderen deutschen Großlogen wurde sie nicht anerkannt und war während der dunklen Zeit im Exil in Israel.

Großloge der Alten, Freien und Angenommenen Maurer v.D.
(später erst so benannt) wurde 1949 von 174 Logen aus 10 ehemaligen Großlogen gegründet. Die in ihr verwendeten Rituale tragen der Situation Rechnung, dass erst die Zusage an die beitretenden Logen, ihre Rituale weiterhin verwenden zu können, die Bildung der einen Großloge nach dem Kriege überhaupt ermöglichte. Nach Anfangsschwierigkeiten konnte 1966 ein Großlogen-Ritual vorgestellt werden, das eklektisch versuchte, möglichst vielen Brüdern Vertrautes zu bieten. Auf Grund einer Flut von „Verbesserungs“-Wünschen und einer Schwerpunktverlagerung von der Belehrungsmethode zum kultischen Erlebnis wurde 1981/82 eine überarbeitete Version in Kraft gesetzt.

Heute arbeiten fast 80% der A.F.u.A.M.-Logen nach diesem Großloge-Ritual, die anderen hauptsächlich nach den alten „Schröder“-, „Sonne“- „Royal York“- und Eklektischen Ritualen.